Die Wikingerprüfung

„Ihr müsst euren Clan stolz machen!“, donnerte die raue Stimme von Olaf, dem Wikingerhäuptling. „Wir brauchen starke Kriegerinnen und Krieger, die uns in jeder Schlacht zur Seite stehen und unser Volk beschützen! Der morgige Wettkampf ist ungemein wichtig, um zu sehen, wie körperlich belastbar ihr seid!“ Zur Bekräftigung seiner Worte schlug Olaf mit seiner starken Faust auf den Holztisch, sodass dieser erzitterte.

Alle Mitglieder des Stammes saßen in der großen runden Holzhütte und blickten auf ihren Häuptling. Morgen war der große Tag. Der Wettkampf der Wikingerkinder stand an, für den alle Kinder seit Wochen trainiert hatten.

Besonders das junge Wikingermädchen Alva, mit ihrem flammendem roten Haar und den grasgrünen Augen, hatte heimlich in den Wäldern trainiert, um noch stärker und schneller zu werden.

Sie saß auf dem Boden zwischen ihren Freundinnen und Freunden und ihr Herz klopfte fest, denn Alva war unheimlich aufgeregt und nervös.

„Morgen bei Sonnenaufgang geht es los!“, rief Olaf und sah alle nacheinander prüfend an. Ich erwarte von euch allen, dass ihr euer Bestes gebt. Nun legt euch in eure Betten und ruht euch gut aus.“

***

Am Abend lag Alva auf ihrem Nachtlager aus Stroh und starrte an die Decke der kleinen Hütte.

„Alva, du musst schlafen. Morgen ist das große Rennen“, sagte ihre Mutter als sie sah, dass Alva immer noch wach war.

„Ach Mama, ich habe ein bisschen Angst“, seufzte Alva. „Was ist, wenn ich es nicht schaffe? Was ist, wenn ich die schlechteste oder die langsamste bin?“

„Du bist weder schlecht noch langsam. Solange du dein Bestes gibst, werden wir stolz auf dich sein. Du musst nur an dich glauben, die Hoffnung niemals aufgeben und immer nach vorne blicken“, ermutigte sie ihre Mutter und küsste sie sanft auf die Stirn. Alva nickte, drehte sich um und schlief schnell ein.

***

Am nächsten Morgen standen die Kinder des Wikingerstammes an der Startlinie. Vor ihnen lag der riesige Wald. Durch den mussten sie so schnell es ging laufen, um bis zum Meer vorzudringen. Ein rauer Wind peitschte ihnen entgegen.

„Denkt daran! Ihr müsst die Blume des Lebens finden. Eine wichtige Heilpflanze, die nur unter Wasser wächst. Das ist euer Ziel! Wer sie als erstes findet und hierher bringt, ist der Sieger unseres Wettkampfs! Auf die Plätze, fertig, los!“ rief Olaf laut und blies dann durch ein lautes Horn.

Alva rannte los. Sie rannte so schnell sie konnte durch den dichten Wald. Sie sprang über umgestürzte Baumstämme, watete durch schlammige Pfützen und krabbelte unter tief hängenden Ästen hindurch. Das Training hatte sich gelohnt. Alva war die Schnellste im Wald und schon bald hatte sie die anderen Kinder hinter sich gelassen. Sie rannte immer weiter bis ein tiefer blauer See vor ihr lag. Dieser See war ein Ausläufer des Meeres und lag in der Mitte des Waldes.

Mutig sprang Alva in das tiefe Wasser und tauchte unter. Das Wasser drückte auf ihre Ohren und sie öffnete die Augen. Kurz stach es in den Augen, doch dann wurden die Umrisse um sie herum klarer und klarer. Kleine Fische schwammen an Alva vorbei und sie machte weitere kräftige Armzüge nach unten.

Alva tauchte bis zum Grund. Doch auf einmal merkte sie, dass sie nicht mehr weiter kam. Sie hatte sich in einer Schlingpflanze verfangen und spürte, wie ihr langsam der Sauerstoff knapp wurde. Sie schnappte sich ein scharfes Messer, das sie in ihre Stiefel gesteckt hatte und zog es heraus. Mit einem kräftigen Ruck durchschnitt Alva die Schlingpflanze und war wieder frei. Aber sie musste sich beeilen, denn aus dem Augenwinkel sah sie ihre Mitstreiter im Wasser.

Fieberhaft suchte Alva die Gegend ab und kniff die Augen etwas zusammen, um weiter sehen zu können. Dann erkannte sie eine sonnengelbe Blume, die aussah wie eine Seerose. Die Heilpflanze! Alva schwamm eilig darauf zu. Die Luft wurde knapp. Blasen entwichen ihrem Mund und sie paddelte so schnell sie nur konnte dorthin. Mit ihrem Messer schnitt Alva die Blume vorsichtig ab. Dann drückte sie sich mit allerletzter Kraft vom Boden ab und ließ sich nach oben tragen.

Näher und näher kam sie der Wasseroberfläche. Als sie endlich auftauchte, nahm sie schnell ein paar tiefe Atemzüge. Viel länger hätte sie es da unten ohne Luft nicht mehr ausgehalten.

Doch noch konnte sich Alva nicht ausruhen.

„Los Alva! Beeil dich! Schwimm!“, hörte Alva die Stimme ihrer Mutter und ihres Vaters, die am Flussufer standen.

Alva schwamm so schnell sie konnte ans Ufer und stapfte mit der Blume in der Hand aus dem Wasser. Sie war eine Wikingerin, sie war gut und das wusste sie. Doch hinter sich hörte sie Rufe und Schritte. Alva blickte sich um und erkannte Sven, einen großen Jungen, etwa ein Jahr älter, dicht hinter ihr.

„Ich werd dich schon noch einholen!“, rief Sven und lachte hämisch.

Es sah so aus als würde ihm das auch gelingen. Denn Alva musste stehen bleiben. Vor ihr lag eine dichte Brombeerhecke.

„Nein! Ich werde nicht aufgeben!“, rief sie laut. Alva biss die Zähne zusammen und rannte durch die Brombeerbüsche hindurch, die vor ihr lagen. Die stacheligen Dornen zerstochen ihre Beine, doch ein echter Wikinger kannte keinen Schmerz.

Sie schaffte es durch die Hecken, aber Sven war ihr immer noch auf den Fersen.

„Ich bin schneller als du! Du wirst niemals gewinnen Alva!“, rief er und zog an ihr vorbei.

„Ich gebe nicht auf! Ich kann es schaffen! Du besiegst mich nicht!“, presste Alva völlig erschöpft hervor, sammelte ihre letzten Kräfte und lief der Ziellinie entgegen, wo der Wikingerhäuptling Olaf stand. Sie hörte die Rufe der anderen Stammesmitglieder und wollte es allen beweisen, dass auch Mädchen gute Wikinger sein konnten.

Im letzten Moment zog sie an Sven vorbei. Dann berührten ihre Füße die Ziellinie und Alva ließ sich völlig am Ende ihrer Kräfte in den Sand fallen. Mit letzter Kraft hielt sie die Blume des Lebens in die Höhe.

„Alva hat gewonnen! Sie ist die Siegerin des Wikingerwettkampfs!“, rief der Häuptling und setzte sie sich auf seine breiten Schultern, sodass jeder sie sehen konnte.

***

Von diesem Tag an zweifelte Alva nie wieder an sich selbst. Sie wusste, solange man die Hoffnung nicht aufgab, konnte man alles erreichen, was man sich vornahm.

*Ende*


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