Das Märchen vom Goldlaub

Das Märchen vom Goldlaub ist ein eher unbekanntes Märchen. Es stammt nicht etwa aus der Feder der Gebrüder Grimm oder Hans Christian Andersen, sondern von dem deutschen Schriftsteller und Komponisten Graf Franz von Pocci. Also, wenn ihr mal Lust auf etwas Abwechslung in Sachen Märchen habt, dann haben wir hier eine Nacherzählung des Märchens vom Goldlaub für euch.

Das Märchen vom Goldlaub

Es lebte einmal eine arme Witwe mit ihren drei kleinen Kindern in einer kleinen, schlechten Hütte. Sie war krank und konnte nicht arbeiten.

Ihr Mann, der das Brot für die Familie verdient hatte, war verstorben.

So mangelte es der Familie an allem.

„Liebe Mutter, wir haben Hunger“, sagten die Kinder. Aber die Mutter hatte nichts, was sie ihnen geben konnte.

„Mutter, uns ist kalt. Bitte stecke Holz in den Ofen, damit die Stube warm wird“, sagten die Kinder. Aber die Mutter hatte kein Holz.

Da stand das älteste der Kinder, ein Junge namens Thomas, von der Bank auf und sprach: „Ich will hinausgehen und sehen, ob ich etwas auftreiben kann.“

Von Herzen betrübt ging er hinaus in die Kälte.

Da begegnete ihm ein vornehmer, reicher Herr. Doch es war einer von denen, die das Leid der Armen nicht sehen wollten. Er sprach nur: „Liebes Kind, ich habe heute kein Geld in der Tasche.“

Traurig lief der Junge in den Wald. Er wollte sehen, ob er wenigstens etwas dürres Holz für das Feuer sammeln konnte. So müssten sie wenigstens nicht frieren, dachte er.

Als er ein Bündel Äste beisammen hatte, setzte er sich für einen Moment auf einen Stein, um sich auszuruhen. Er begann zu beten, dass der liebe Gott ihnen helfen möge: „Was Gott will“, sprach der kleine Thomas, „will ich gerne tun, wenn nur die liebe Mutter und meine Geschwister ein Stück Brot hätten.“

Da kam auf einmal ein geheimnisvolles, schönes Kind zwischen den Bäumen zu ihm gelaufen.

Es sprach: „Ich will dir helfen. Nimm diesen kleinen Stab hier. Es ist ein besonderer Stab. Wenn du damit an einen Baum klopfst, fallen goldene Blätter herunter. Aber merke dir gut: Wer mehr verlangt, als er braucht, der wird bestraft.“

Dann war das schöne Kind auch schon wieder verschwunden.

Das muss ein Engel gewesen sein, dachte Thomas. Er wusste vor Schreck nicht wie ihm geschehen war. Als er wieder zu Sinnen kam, nahm er den Stab und klopfte damit gegen einen Buchenbaum, an dem noch ein paar dürre Herbstblätter hingen. Dabei sprach er:

„Liebes Bäumlein, ich bitte dich,
liebes Bäumlein, schüttle dich!
Lass fallen ein Blättlein hold,
nur ein einzig Blättlein Gold!

Und siehe da – es fiel ein Blatt von dem Baum herunter. Es war aus reinem Gold.

Das Märchen vom Goldlaub

Der Knabe hob das Blatt auf und lief voller Glück nach Hause. Von da an war es mit der Not vorbei für die Familie.

Doch die Mutter erlaubte nicht, dass mehr Blätter vom Baum geholt wurden, als sie für ein bescheidenes Leben nötig hatten.

Nur hin und wieder durfte Thomas ein Blatt extra vom Baum holen, um anderen armen Leuten in ihrer Not zu helfen.

Von da an konnte Thomas zur Schule gehen. Er war fleißig und immer sauber gekleidet.

So vergingen viele Jahre und die Kinder wurden Erwachsen. Mit der Zeit war auch den Leuten im Dorf aufgefallen, dass die Witwe und ihre Familie ein besseres Leben hatten.

Eines Tages als Thomas von der Schule nach Hause ging, nahm einer seiner Schulkameraden, ein ziemlich böser Bursche, ihn beiseite und redete ihm so lange zu, bis Thomas ihm die Sache mit dem wundersamen Stab preisgab.

Nachdem der Bursche Thomas lange etwas vorgejammert hatte, ließ dieser sich überreden, abends zusammen in den Wald zu gehen. Der Bursche wollte mit dem Stab an einen Baum klopfen und ein Blättchen Gold herunterholen.

Der gutmütige Thomas wollte es ihm gewähren. Doch der Bursche hatte Böses im Sinn. Kaum hatte er das Stäblein in der Hand, wollte er es nicht mehr hergeben.

„Du weißt, wer mehr verlangt, als er bedarf, der wird bestraft“, warnte ihn Thomas.

Doch der Bursche ließ sich nicht belehren. Er klopfte mit dem Stab an einen Baum und rief:

„Liebes Bäumlein, ich bitte dich,
überdeck mit Golde mich,
lass fallen deine Blätter hold,
nichts will ich als Gold, als Gold!“

„Als Gold, als Gold“, tönte das Echo von oben herab zurück. Der Baum verwandelte alle seine Blätter in Gold und ließ sie auf den Burschen fallen. Der wurde durch die schwere Last am Boden erdrückt.

Thomas lief zu ihm hin, konnte ihm jedoch nicht mehr helfen. Da erschien plötzlich das wundersame schöne Kind wieder zwischen den Bäumen, das den Stab einst gebracht hatte. Es nahm den Stab wieder an sich und verschwand.

Das Gold, das nun auf der Erde lag, reichte Thomas und seiner Familie für ihr ganzes Leben. Doch sie blieben immer bescheiden und waren hilfsbereit gegenüber allen Leuten. Thomas musste oft an seinen Kameraden denken, der an seiner Gier zugrunde gegangen war.

Wir aber wollen Gott danken, wenn wir im Herbste statt der Goldblätter, rotbackige Äpfel und goldgelbe Birnen von den Bäumen schütteln können.

Und wir wollen den Spruch so gebrauchen:

Liebes Bäumlein schüttelt euch,
machet uns an Früchten reich!
Äpfel, Birnen schüttelt hold,
wir verlangen ja kein Gold.


Hinweis zu den Nutzungsrechten: Das Märchen vom Goldlaub gilt als gemeinfrei, weil der Autor bereits seit mehr als 70 Jahren verstorben ist. Die hier veröffentlichte Nacherzählung wurde von uns selbst erstellt und unterliegt dem Urheberrecht.


Über den Autor und das Märchen

Graf Franz Ludwig Evarist Alexander von Pocci wurde vor allem aufgrund seiner Stücke für das Kasperl- und Marionettentheater bekannt. Er war aber auch Zeichner und fertigte zahlreiche Karikaturen an. Außerdem war von Pocci Komponist. Von ihm stammt zum Beispiel auch das Lied Wenn ich ein Vöglein wär.

Das Märchen vom Goldlaub entstand um 1860. Es wurde zusammen mit acht farbigen Zeichnungen im Münchner Bilderbogen veröffentlicht, einer Serie von Einseitigen bebilderten Geschichten.


Noch mehr Märchen

Hier haben wir noch weitere Märchen für Kinder nacherzählt:

Das Märchen vom goldenen Schlüssel hat ein ähnliches Motiv wie das vom Goldlaub. Auch dort geht ein armer Junge im Winter in den Wald, um Feuerholz zu sammeln. Dort findet er einen goldenen Schlüssel, mit dem er ein geheimnisvolles Kästchen öffnen kann.

Märchen Der goldene Schlüssel
Der dicke fette Pfannkuchen Text

Und auch im Märchen vom dicken, fetten Pfannkuchen spielt die Armut eine Rolle. Ein dicker Pfannkuchen springt aus der Pfanne und will nicht aufgegessen werden. Auf seinem Weg durch den Wald begegnet er verschiedenen Tieren, die ihn alle gerne fressen würden. Doch der Pfannkuchen läuft allen davon. Erst als er drei armen Waisenkindern mit hungrigen Bäuchen begegnet, bleibt er stehen lässt er sich bereitwillig von ihnen aufessen.

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